Begegnung mit der Malerin Uljana Scheremetjewa / Bilder sind in der Stadtverwaltung Potsdam und in der Villa Grenzenlos zu sehen. „Früher hätte ich mir nicht vorstellen können, einmal Blumen zu malen" erinnert sich Uljana Scheremetjewa, während sie mir bei unserer ersten Begegnung eine wahre Kollektion von Blumen-Kompositionen in Aquarell-, Tempera- und Ölfarben zeigt. Dieses „Früher" der jungen, zarten Frau fing tatsächlich schon vor mehr als zwei Jahrzehnten an. Damals begann sie in ihrer Heimatstadt am Asowschen Meer, neben der „eigentlichen" und der Musikschule auch noch die Kunst-schule zu besuchen. Da war sie Elf. Vier Jahre später stand für sie fest: So sehr sie die Musik liebte, die immer zu ihrem Leben gehören würde, ihr Berufsziel war Malerin. Mit der nur ihr gehörenden Fantasie und Kraft wollte sie etwas Eigenes schaffen. Bevor diese Fantasie auch Blumen einschließen würde, musste sie viel in ihrem Leben erfahren, Schönes und sehr Bitteres. Das erste Stück Weg war weit, forderte immer neue Kraft, aber machte sie glücklich. So dauerte die Bahnfahrt nach St. Petersburg, das zu dieser Zeit Leningrad hieß, zwei Tage - aber sie überzeugte mit ihren Arbeiten die sehr kritischen Kunstlehrer und wurde aufgenommen an der Schule, die die Jüngsten auf die berühmte RepinAkademie für Malerei, Grafik und Architektur vorbereitete. So arbeitsreich die Ausbildung war, so viel Spaß machte sie ihr auch. Der Schritt zu den Höhen der Akademie war in Sicht, da zerstörte das rauhe nördliche Klima ihre Pläne. Den feucht-kalten Wintern in den alles andere als wärmenden Internatszimmern hielt ihre Gesundheit nicht stand. Eine längere Pause in milder südlicher Luft, gute Ärzte, die liebevolle elterliche Fürsorge und nicht zuletzt ihr unbedingter Wille ließen sie einen neuen Start wagen. Diesmal in Moskau. Bis in die Hauptstadt brauchte der Zug immerhin nur einen Tag, und die Winter waren zwar nicht weniger kalt, aber trocken, die Innenräume warm. Wieder hieß es, eine Aufnahmeprüfung unter Hunderten von Bewerbern zu bestehen und wiederum gehörte sie zu den Wenigen, die ausgewählt wurden. Blumen hat sie allerdings auch in den folgenden sechs Jahren strengen akademischen Studiums noch nicht gemalt, obwohl nahezu alle Richtungen realistischer Malerei ausprobiert wurden. Nur einmal, als sie in einem Kunstbuch las, Blumen seien besonders schwierige „Objekte" reizte es sie, sich daran zu versuchen. Doch es blieb eine Episode. Mit Begeisterung, erstaunlicher Professionalität und Ausdruckskraft zeichnete sie dagegen wohl hunderte von figürlichen Skizzen. Den menschlichen Körper und die individuelle Psyche zu gestalten, gehörte zu den immer wieder kehrenden Aufgaben für die Studenten. Sie wären zugleich handwerkliche Übungen für eine ebenso leichte wie kraftvolle Strichführung. Einige führte Uljana Scheremetjewa weiter zu detailliert ausgeführten Bildern, meist in Tempera. Auch wenn sie bei weitem nicht alle diese Arbeiten mitnehmen konnte als sie Moskau verließ, viele ihrer Freunde begleiten sie auf diese Weise auch weiterhin . Durch sie leben die Erinnerungen an die gemeinsame Studienzeit, aber auch an die trotz karger Freizeit vielen anregenden und nachdenklich, stimmenden Erlebnisse im reichen Moskauer Kunst-leben. Die Freude war groß, als die 23-Jährige ihr Diplom erhielt, nachdem sie alle Prüfungen außergewöhnlich erfolgreich bestanden hatte . Das war im Jahr 1991. Die Prüfungen, die die Realität ihr wenig später abverlangte, überstiegen ihre Kräfte. Um sie herum brach nicht nur das Staatsgefüge zusammen, auch viele persönliche Bindungen hielten dem unerwarteten Druck nicht stand. Am schlimmsten aber war die überall aufbrechende Alltags-Gewalt. Schließlich hatte sie nur noch Angst: um ihre Mutter, die — inzwischen allein — bei ihr Zuflucht suchte, um sich und vor allem ihr kommendes Kind. Als sie 1993 nach Deutschland ausreisen konnte,war die Fahrt ins Ungewisse für sie ein letzter Rettungsanker, Dass dieser mit so viel Verzweiflung begonnene Weg sie eines Tages zum Blumen-Malen führen werde, ahnte sie damals nicht. Und das Leben, das sie erwartete, ähnelte auch keineswegs den blühenden Potsdamer Gärten. Zwar erlebte sie wenige Tage nach ihrer Ankunft einen Augenblick großen Glücks: die Geburt ihres Sohnes Alexej. Doch zugleich begann der Kampf mit einem sehr belastenden Alltag. Im Aussiedlerheim gab es für sie, ihre Mutter und das neu geborene Kind nur ein Zimmer. Küche und Bad mussten sich drei Familien teilen. Die Atmosphäre unter den zwischen Hoffnung und Zukunftsangst hin- und hergerissenen Bewohnern war spannungsgeladen. „Ich fand keine Beziehung zu den Menschen mehr. Mit dem Kinderwagen flüchtete ich in die Stadt, ich suchte etwas Schönes, das Harmonie brachte. Da fielen mir die vielen Blumen auf, in den Geschäften und an den Wohnungsfenstern. Manchmal kaufte ich mir welche" erinnert sich die junge Frau. Inmitten der sie von allen Seiten bedrängenden Unruhe schuf sie sich im engen Familienzimmer ihre Kunstinsel Auf dem Fußboden begann sie, gegen die deprimierende Realität an zu malen. Eines ihrer ersten Bilder ist eine einzelne Anthurie in gedämpften Farb-Schattierungen neben der ein durchsichtiger Schmetterling wahrzunehmen ist. Etwas von einem fernen Märchen strahlt die zerbrechlich wirkende Komposition aus. Ihr damals selbst nicht bewusst, hat sie dabei eine alte russische Maltradition übernommen: dekorative, Pflanzenmotive auf dunklem Grund. Aus dem Gefühl, in einer ihr fremden Umgebung allein zu sein, rücken ihr die Blumen während des Malens immer näher. Bei dem Versuch, sie aus ihrer natürlichen - in eine Kunst-Wirklichkeit zu „übersetzen", entdeckt sie den ihnen eigenen Charakter. Während sie so langsam einen neuen Halt gewinnt, kehrt auch die Lust zurück am Ausprobieren unterschiedlicher Gestaltungsmittel. In der Ausstellung „Fantasie in Blumen", die noch bis zum Dezember in der Stadtverwaltung, Zimmer 274, zu besuchen ist, kann der aufmerksam Hinsehende die ersten Schritten der jungen Malerin auf ihrem Weg in ein neues Leben wahrnehmen. So fällt in den zuerst entstandenen Bildern auf, dass jedes Blumen-Arrangement in einen farblich mit ihm harmonierenden Raum gestellt ist, der ihre sehr unterschiedliche ' „Stimmung,mit trägt. So läßt der Strauß in Violett die ursprüngliche Farbkraft nur in einigen Blüten noch ahnen, das verblassende Sich-Abfinden mit dem Dahinwelken ist unübersehbar. In der Farbenpracht der Frühlingsblumen, auf die der Blick des Betrachters von oben fällt, begegnet ihm ein Stimmungsgemisch von stolzem Frohsinn bis zum Sich-Hängen-lassen. Wie viel Licht und Kraft strahlt dagegen von den Frühlingssträußen aus, die die Natur in ein helles Zimmer herein zu bringen scheinen. Obwohl auch die Osterglocken, Mohnblumen und der leuchtende Flieder in Vasen „gefasst" sind, wirken sie ungezwungen, lassen den Gedanken an ihr Welken nicht aufkommen. Es überraschte nicht, als Uljana Scheremetjewa auf meine Frage, wann diese Arbeiten entstanden sind, sagt, das sei schon in ihrer Wohnung gewesen. Zwar malte sie auch dabei noch gegen viele Schwierigkeiten an, doch das Sonnenlicht, das durch die Fenster fiel, die Frische der Blumen gaben ihr Kraft und die wollte sie mit einem ihrer wichtigsten Ausdrucksmittel, der Farbe, den Menschen in ihren Bildern zurückgeben. In einem anderen Potsdamer Haus, der Villa Grenzenlos, die für viele einst Fremde zu einer vertrauten Begegungsstätte geworden ist, fand ich drei figürliche Studien der jungen Malerin. Lange Zeit hatte der Kampf, aus ihrer Einsamkeit heraus zu finden, auch ihr künstlerisches Sich-Annähern an andere Menschen blockiert. Nur von ihrem heranwachsenden Alexej schuf sie sensible und ausdrucksstarke Zeichnungen. Mit den Probenbesuchen in der einstigen Potsdamer Philharmonie brach in ihr eine Sperre. Eine Vielzahl von Bleistiftzeichnungen, aber auch in unterschiedlichen Techniken ausgeführten Porträts der Musiker hat sie bei sich zu Hause. Nun entstanden während der Sommerakademie „Ohne Grenzen", einer Initiative der „Villa", drei Arbeiten, mit denen sie sich in einem größeren Kreis vorstellen kann. Neben dem einfühlsamen Sich-Annähern an den Maler Gad aus Israel und dem Kleinmachnower Michael, beide bei ihrer Arbeit beobachtet, rückt sie in lehmfarbenen Tönen mit mattblauen und weißen Pinselstrichen die so unterschiedlichen Männer sehr nah an den Betrachter heran, sodass er aus ihren Gesichtern, ihrer Körperhaltung Züge ihres Wesens aufnehmen kann. Als die sehr junge Franziska in einer Malpause ein wenig melancholisch vor sich hin sinnend im blühenden Garten saß, reizte es Uljana Scheremetjewa, den Kontrast zwischen ihrer schwarzen Kleidung und dem sommerlichen Farbenreichtum mit Tusche auf weißen Papier fest zu halten - ein Experiment aus einer sehr gelösten Stimmung. Diese kleinen Ausstellungen, die weitaus größere Zahl von Arbeiten, die sie bei sich zu hause hat, und nicht zuletzt unsere Gespräche haben neugierig gemacht: Welche Bilder wird Uljana Scheremtejewa gelenkt vom Leben und ihrer künstlerischen Fantasie in den nächsten Jahren malen, welche Gedichte wird man von ihr kennen lernen, wenn die schon geschriebenen einen Übersetzer finden oder auch neue in ihrer „neuen" Sprache entstehen. Man darf sich dessen sicher, dass vieles darunter sein wird, das sie sich - wie einst die Blumen heute ebenso wenig vorstellen kann. Источник: Von Blumen und Menschen – PNN (Potsdams Neueste Nachrichten), 08.11.2001 | |
Категория: Статьи о творчестве | Добавил: ANV (22.05.2013) | | |
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Von Blumen und Menschen